Rotarier im Fokus: Felix Gutzwiller

laugardagur, 5. febrúar 2022

Rot. Felix Gutzwiller hat sich in seiner Laufbahn als einer der führenden Präventivmediziner und Gesundheitspolitiker positioniert. Obwohl er eigentlich dem Ruhestand frönen könnte, stellt er sich aktuellen Fragen aus dem Bereich des Gesundheitswesens.  

Herr Professor, vom deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer stammt das Zitat: «Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.» 

Felix Gutzwiller: Was Schopenhauer sagt, ist erstaunlich aktuell. Umso mehr, weil zu seiner Zeit wohl noch nicht so viel Wissen über die psychischen, physischen und sozialen Dimensionen der Gesundheit vorhanden war. 

Sie leiteten bis im Sommer 2013 das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Erklären Sie uns kurz die damaligen Aufgaben dieser Institution.

Sie lassen sich am besten unter dem Begriff Public Health zusammenfassen. Nebst der Gesundheit des Einzelnen, also der individuellen Diagnose bei Symptomen und der Therapie hat sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine zweite Dimension entwickelt: Man hat erkannt, wie wichtig es ist, die Gesundheit in der Gesamtheit der Bevölkerung zu messen und gesundheitsfördernde Massnahmen wie Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen oder Gesundheitskampagnen zu entwickeln. So hat man beispielsweise erforscht, ob sich eine bestimmte Krebskrankheit häufiger oder seltener verbreitet. Die daraus resultierenden Daten waren entscheidend für weitere Entwicklungen in der Medizin und der Gesundheitspolitik.        

Die Schweizer Bevölkerung hat eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen. Daraus schliessen wir: Wir leben im Allgemeinen ganz gut und gesund. Einverstanden?

Absolut. Seit der Einführung der AHV im Jahre 1946, also in einer relativ kurzen, überschaubaren Zeit, ist unsere Lebenserwartung um etwa fünfzehn Jahre angestiegen. 

«GEHT ES DEN MENSCHEN SOZIAL BESSER, GEHT ES IHNEN AUCH GESUNDHEITLICH BESSER»

Was hat diese erfreuliche Tendenz beeinflusst? 

Unsere Gesundheit verdanken wir den Fortschritten in der Medizin, aber auch unserer verbesserten sozialen Lage. Der Gesundheitszustand und die wirtschaftliche Situation von Gesellschaften stehen in einer Wechselbeziehung. Geht es den Menschen sozial besser, geht es ihnen auch gesundheitlich besser. 

Frauen leben bei uns drei bis vier Jahre länger als Männer. Was macht die Differenz aus?

Dieser Unterschied ist zur einen Hälfte durch die Übersterblichkeit junger Männer zu begründen. Diese hat drei Ursachen: Suizide, Unfälle und Gewalt. Die andere Hälfte betrifft die mittleren Altersgruppen: Hier verzeichnet man bei den Männern aufgrund von Erkrankungen an Lungenkrebs und Herzkreislaufproblemen höhere Todesfallraten als bei den Frauen.   

Zurzeit fliessen in der Schweiz jährlich rund 82 Milliarden Franken in das Gesundheitswesen. Das sind 11.3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die einen bezeichnen diesen Aufwand als Luxus, den wir uns leisten dürfen, die andern als ein Ärgernis. 

Gemessen am BIP zählt die Schweiz zu jenen Ländern, welche höhere Gesundheitsausgaben haben als andere. Wir sind jedoch nicht die Spitzennation. Ich denke, unser Aufwand ist vertretbar. Es gibt aber Hinweise, dass wir den gleichen Qualitätsstandard auch für etwas weniger Geld erreichen könnten. Oder, anders gesagt, dass wir für dieselben Investitionen sogar eine noch höhere Qualität haben sollten. Meiner Ansicht nach sind zehn bis fünfzehn Prozent der Aktivitäten im Gesundheitswesen fragwürdig oder wissenschaftlich nicht gesichert. Für mich liegt die Herausforderung der Zukunft darin, die Qualität bei einer gleichzeitigen Kostenkontrolle weiter zu fördern.  

Für die Spitalplanungen sind die Kantone zuständig. Der Bund nimmt via das Krankenversicherungsgesetz Einfluss auf die Ansiedelung von Kompetenzzentren. Kantone versus Bund: Sollten die wichtigsten Aufgaben im Bereich der Gesundheitsversorgung nicht national geordnet werden, auch im Sinne der Kosteneffizienz?  

Unsere Gesundheitsversorgung kämpft mit Anreizen, die einander quer gegenüberliegen. Ein kantonaler Gesundheitsdirektor trägt verschiedene Hüte: Er ist Chef des Spitalwesens, verfügt über eine grosse Macht mit Geld und Personal, ist gleichzeitig Regulator und auch Finanzierer. Die Interessen, die er zu vertreten hat, sollten entflochten werden. Dazu müsste man den Kantonen gewisse Kompetenzen entziehen. Das will niemand. Wir bräuchten grössere, überkantonale Spitalregionen, die auch von nicht-staatlichen Organisationen geführt werden könnten. Ich bezweifle, ob der Bund die richtige Instanz ist, um für mehr Kosteneffizienz zu sorgen. Er sollte lediglich die Leitplanken für das Spital- und Gesundheitswesen setzen.

«DAS GESUNDHEITSWESEN HAT SICH ZU EINEM DER INNOVATIVSTEN SEKTOREN, DIE WIR HEUTE HABEN, ENTWICKELT»    

Sie selbst waren als Nationalrat und als Ständerat einer der führenden Gesundheitspolitiker. Welche Entwicklungen im Gesundheitswesen haben Sie während Ihren sechzehn Jahren in der Bundesversammlung am meisten gefreut, welche am meisten geärgert?

Während dieser Zeit, von 1999 bis 2015, ist man sich in der ganzen Breite des politischen Spektrums bewusst geworden, dass es im Gesundheitswesen nicht allein auf die Kosten, sondern auch auf die Qualität ankommt. Auch sind wir uns einig: Das Gesundheitswesen hat sich zu einem der innovativsten Sektoren, die wir heute haben, entwickelt. Von den Benefits, die hier anfallen, profitieren alle, auch die Wirtschaft in Form von kürzeren krankheitsbedingten Absenzen. Geärgert hat mich die Langsamkeit und Schwerfälligkeit des Systems gegenüber Reformen. 

Ihnen gegenüber sitzt ein passionierter Pfeifenraucher, der hin und wieder auch mal eine Zigarre geniesst und ein Glas Wein oder einen edlen Grappa trinkt. Aus Ihrer Sicht als Präventivmediziner: Darf er das?

Sicher. Das darf er. Geniessen ist zentral für das persönliche Wohlbefinden. Aber: Die Menge macht‘s aus. 

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Genuss und Laster?

Sobald jemand abhängig wird von Genussmitteln, wird es problematisch. Wenn ich keinen Tag mehr ohne meinen abendlichen Whisky oder einen halben Liter Rotwein sein kann, stimmt etwas nicht mehr. Die Fragen lauten: Wer hat die Kontrolle? Hat das Produkt die Kontrolle über mich? Oder habe ich die Kontrolle über das Produkt?

Immer mehr Leute bekennen sich zu vegetarischer oder veganer Ernährung. In ihren Augen gilt Fleischkonsum als nicht salonfähig. Zu Recht oder zu Unrecht?

Die beste Ernährungsform ist eine mediterrane Mischkost mit etwas Fleisch, Fisch, Gemüse, Olivenöl und so weiter. Von daher drängt sich eine andere Ernährungsweise nicht auf. Was man isst, entscheidet man aufgrund individueller Bedürfnisse und Ansichten. Nicht ausblenden darf man die Bedeutung des Fleischkonsums im Kontext zur weltweiten Klimakrise. Darum gibt es auch Menschen, welche nicht allein aus gesundheitlichen Überlegungen auf Fleisch verzichten, sondern auch, weil sie sich um das Klima Sorgen machen. Das muss man akzeptieren.

«DASS WIR INNERHALB VON KÜRZESTER ZEIT ÜBER DIE HOCHPOTENTEN MRNA-IMPFSTOFFE VERFÜGEN KÖNNEN, IST SCHON EINE MEISTERLEISTUNG»

Zurzeit beherrscht Corona unseren Alltag. Wir fragen auch Sie: Was lehrt uns die Pandemie?

Wir leben in einer volatilen Welt, in der neue Risiken auftreten können, auch im Bereich von Infektionskrankheiten, die man bisher eher Drittweltländern zugeordnet hat. Ich bin beeindruckt, welche Fortschritte die Wissenschaft gemacht hat. Dass wir innerhalb von kürzester Zeit über die hochpotenten mRNA-Impfstoffe verfügen können, ist schon eine Meisterleistung. Noch etwas: Wir müssen darüber nachdenken, wie bei zukünftigen Belastungen solcher Art diese Spaltung der Gesellschaft, diese extreme Ideologisierung und Instrumentalisierung des Themas verhindert werden kann.  

Am 22. Februar werden Sie Ihren 74. Geburtstag feiern und könnten eigentlich dem Ruhestand frönen. Uns dünkt, Sie sind nach wie vor vielfach beschäftigt. Was motiviert Sie zu Ihrem Engagement in verschiedenen Gremien? 

In meiner jetzigen Lebensphase habe ich das Privileg, mich Dingen zu widmen, die ich gerne tue und Dinge von mir fernzuhalten, die lästig, mühsam oder konfliktbeladen sind. Wichtig ist für mich, dass ich mental und physisch fit bleibe und auch offen bin für Neues. Durch meine Aufgaben in verschiedenen Gremien bin ich zum Beispiel gezwungen worden, den Umgang mit digitaler Kommunikation zu lernen. Das finde ich extrem stimulierend.   

  

People of Action: Rot. Felix Gutzwiller

Rot. Felix Gutzwiller, geboren am 22. Februar 1948, Dr. med. der Universität Basel, erlangte an der Harvard University in Boston den Master of Public Health (MPH) und doktorierte auch an der Johns Hopkins University in Baltimore. 1981 habilitierte er an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel im Bereich Sozial- und Präventivmedizin. Von 1983 bis 1988 führte er als Direktor das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne und von 1988 bis 2013 das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Als Oberst war er Chef des Biologischen Dienstes der Armee. Seine politische Karriere startete Gutzwiller 1972 mit dem Beitritt in die baselstädtische FDP. 1985 wurde er in Belmont-sur-Lausanne in den Gemeinderat, 1999 im Kanton Zürich in den Nationalrat und 2007 in den Ständerat gewählt. In Bern präsidierte Felix Gutzwiller unter anderem die freisinnige Bundeshausfraktion (2004-2008). Seit seinem Rücktritt von der Bundespolitik engagiert sich Professor Gutzwiller in verschiedenen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Organisationen. Er ist seit 1992 Mitglied des RC Zürich.


Rot. Felix Gutzwiller